-Hans Reiter
Hans Reiter
Translated by Herbert Kuhner
Hans Reiter, geboren 1906 in Wien, lebte von 1939-1956 in der Sowjetunion.
Veröffentlichungen in Zeitschriften, Anthologien und Zeitungen, darunter in der Furche.
Er verstarb in Wien 1992.
Hans Reiter was born in 1906 in Vienna. From 1939-1956 he was in the Soviet Union.
Other than sparse publications in journals and anthologies,
his work has been almost totally neglected in Austria. He died in 1992.
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PROverbis: bilingual, Band 2
Wände …/Walls …
Österreichische jüdische Lyrik/
Austrian Jewish Poetry
Translated by Herbert Kuhner
ISBN 978-3-902838-19-3
272 Seiten, Paperback
Preis: 24,00 €
Steine
Und schweigt der Himmel, bleibt er taub,
ich find’ den Ort, wo Steine sprechen,
wo Tränen, ausgehöhlt von Staub –
aus einem steinernen Stein noch brechen
für uns, die Juden dieser Stadt.
Nur Steine rührte unser Sterben.
Weh einer Welt, die keine Steine hat –
weh einer Stadt, wo Unrecht türmt zu Bergen.
Stones
Even if Heaven is silent – and deaf,
I’ll find a place where stones speak,
where tears are broken out of stones
and pressed out of dust
for us, the Jews of this city.
Only stones mourned our death.
Woe to a world without stones!
Woe to a city where calumny forms mountains.
Leopoldstadt
Da steht vor einem Haus ein Totenwagen.
Vor jedem Haustor müßte einer stehen
und hoch mit Särgen seine Plattform laden,
bis unters Dach müßten die Kisten gehen.
Denn wie wollt ihr die Juden transportieren
die ihr aus euren Lagern habt vergast?
Gas strömt aus ihren früheren Quartieren
solange ihr sie unbeerdigt laßt.
Sie zogen nie aus. Die Toten wohnen weiter.
Und sind die Fenster vor Verzweiflung blind –
sie schauen heraus. Nichts ändert sich seither,
nur daß die Mörder jetzt die Mieter sind.
Leopoldstadt
There’s a hearse in front of a house,
but there should be one in front
of every door with coffins piled high
right up to the roof.
How do you intend to transport
the Jews who’ve been gassed to death?
Gas will seep out of every house
until they’ve been properly buried.
They never left. The dead still live here.
And although the windows are blind with despair,
they still look out of them. Nothing has changed
except that the murderers are now the tenants.
Die jüdische Welt
Die jüdische Welt ist wie der Mond,
der unsere Nächte bescheint
und auf dem Grund aller Meere wohnt
und von der Sonne träumt,
die aus dem Feuer der Felsen steigt
und wieder ins Feuer fällt.
Die jüdische Welt, sie ist so weit
wie der Himmel, der über uns wölbt.
The Jewish World
The Jewish world is like the moon
that lights our nights,
but is in the depths of the seas
and dreams of the sun
that rises from the fire of rocks
and falls back into fire.
The Jewish world is as vast
as the vault of the sky above.
Am Friedhof
Ein Nachsterben, eine Menschenklage,
Macht sie die Stunde ungescheh’n?
Heut‘ stehe ich an eurem Grabe,
wer wird vor meinen morgen stehen?
So sprach ich still zu meinem Toten,
die Lieb‘ und Leid geteilt mit mir,
und küßt‘ die Lippen, die sich boten
mir unterm Laub. Schön war es hier.
At the Cemetery
Could joining you, could anguish
cancel out all those hours?
Today I stand at your grave.
Who’ll stand at mine tomorrow?
That’s what I silently said to my dead,
those who shared my love and pain,
and I kissed the lips that were offered
under the fallen leaves. It was beautiful there.
Sie waren dabei
Sie waren dabei als es um Österreich ging.
Sie waren dabei in Österreichs schwersten Stunden
Und Jahr auf Jahr nach ihrer Hinrichtung verging.
Und langsam heilten Österreichs Wunden.
Sie waren da, auch wenn man nirgends fand ein Zeichen
von ihnen, die geopfert sich für Österreichs Sieg.
Sie waren da. Im Keller der Anatomie lagen ihre Leichen
in den Karbolfässern der Zweiten Republik.
Dort lagen sie. Das ist die Wahrheit, die nicht mehr verstummt auf Erden,
zehn Jahre lang zwischen den Knien ihr abgehacktes Haupt.
Wer weiß, ob nicht Karbolfässer das Denkmal werden,
das für Österreich sich baut.
They Were There
They were there when Austria’s fate
was at stake and they gave their all for Austria.
The years passed after their execution,
and slowly Austria’s wounds healed.
But there’s no evocation of those who sacrificed
themselves for Austria’s sake. They are stored
in containers of carbolic acid in the basement
of the Anatomical Institute of the Second Republic.
That’s where they were. It’s the truth and cannot
be denied. For years their decapitated heads
floated between their knees. Perhaps carbolic acid
is the memorial that Austria built for itself.
Der neue Holocaust
Im Mittelalter lebte in Deutschland ein Jude
namens Pfefferkorn. Er trat aus der jüdischen
Religionsgemeinschaft aus, wurde Mönch und
beschuldigte die Juden, sie hätten die Brunnen vergiftet.
Und, in ganz Deutschland brannten die, Scheiter-
haufen und tausende Juden starben in den Flammen.
In unserer Zeit gibt es in Österreich einen Juden
namens Kreisky. Er trat aus dem Judentum, wurde
Bundeskanzler und beschuldigt Israel, die Brunnen
des Friedens, und der Versöhnung zu vergiften.
Welches Schicksal ist unserm Volk beschieden,
wenn ein Atomkrieg ausbricht und die, Überlebenden.
aus den Trümmern kriechen und schreien:
„Die Juden sind schuld am Untergang der Welt.“
Kreisky bestätigt, daß er im Jahre, 1973
drei Tage vor dem Ausbruch des Jonkippuhrkrieges vom
ägyptischen Überfall auf Israel durch den
ägyptischen Tourismusminister, der in Wien war,
informiert wurde. Kreisky bestätigt, daß er
Israel nicht gewarnt habe.
The New Holocaust
In the Middle Ages, a Jew named Pfefferkorn
lived in Germany. He withdrew from the Jewish
religious community and became a monk.
He accused the Jews of having poisoned the fountains.
There were auto-da-fés in all of Germany
and thousands of Jews died in the flames.
In our time there is a Jew in Austria
named Kreisky. He withdrew from the Jewish community
and became chancellor and accused Israel of poisoning
the fountains of peace and conciliation.
What fate would be in store for our people
if there had a nuclear war and the survivors
had crawled out of the ruins and shouted:
“The Jews are to blame for the end of the world.”
Kreisky confirmed that three days before
the outbreak of the Yom Kippur War in 1973,
when Egypt invaded Israel,
the Egyptian Minister of Tourism,
who was in Vienna,
informed him of the immanent attack
and he did not warn Israel.
– Herbert Kuhner