Herr Kuhner, wenn Sie Ihre Sache nicht einstellen, werden wir den Amtsarzt schicken!“
Anonymer Anrufer

Prolog

Der Prolog ereignete sich in Großmutters Wohnung. Im Anschluss-Jahr 1938, als ich drei Jahre alt war, ereignete sich folgendes bei meiner 83 jährigen Großmutter: Es läutete an der Tür und ich lief hin und öffnete. Zwei Männer in Straßenkleidung traten ein. Ich sehe diese Szene vor mir, als ob sie heute wäre. Einer von ihnen, ich erinnere mich noch genau, trug einen braunen Anzug und hinkte. Der Zweite trug Grau. Der Mann im braunen Anzug stieß die alte Frau von einem Schrank weg und durchsuchte ihn. Und tatsächlich war ihr Haushaltsgeld darin verwahrt.

1939, als ich vier Jahre alt war, verließ ich mit meinen Eltern Österreich, damit uns die Todesmühle nicht zermalmen konnte.

My Grandmother

Andere Mitglieder meiner Familie blieben zurück und wurden getötet. Meine Großmutter starb an gebrochenem Herzen, wodurch sie einem ärgeren Schicksal entging.

Ich wuchs in den Vereinigten Staaten auf und vollendete dort mein Studium. Dadurch wurde Englisch meine literarische Sprache. 1963 kehrte ich nach Wien zurück, um in meiner Geburtsstadt zu leben. Schon nach kurzer Zeit hatte ich das Gefühl, ich sei nie fort gewesen.

Meine Mutter war unter dem Namen Lisa Berling eine bekannte Sängerin. Am 19. September 1924 hatte sie das erste Live-Konzert im Österreichischen Rundfunk gegeben. Sie sah sehr zart aus, aber sie war sehr zäh. Sie war auch 1938 und in den Folgejahren sehr ausdauernd. Sie war sogar kurz vor ihrem Tod völlig ungebrochen. „Gib nicht auf und gib nicht nach“, sagte sie zu mir. Sie starb am 18. September 1979.

Bei unserem Besuch in unserem alten Haus, dort wo wir glücklich gewesen waren, erinnerte ich mich an sie. An einem Sonntag waren wir in die Leopoldstadt spazieren gegangen. Im Prater, bei der Wieselburger Bierinsel, tranken wir eiskaltes Bier und begaben uns dann zu unserem alten Haus, Rueppgasse 16. Da waren wir nun, 31 Jahre später. Wir standen vor dem Haus und gingen nicht hinein. Am Eingang war eine Sprechanlage; wir hätten einen der Bewohner bitten müssen, das Tor zu öffnen. Vielleicht war es besser, dass wir nicht in den ersten Stock hinaufgegangen waren, den einst meine Großmutter und meine Mutter bewohnt hatten; dass wir nicht dort emporgestiegen waren, wo wir im Sommer 39 hatten hinuntergehen müssen. Wir haben jedoch an diejenigen gedacht, die man 1939 gezwungen hatte, über diese Stufen zum letzten Mal zu gehen – an Tante Helene, an Onkel Fritz, an Onkel Heinrich.

1963 kehrte ich nach Österreich zurück.

Durch meine Emigration wurde Englisch meine literarische Sprache. Alle meine deutschen Texte sind Übersetzungen, von mir oder von anderen aus dem Englischen übertragen. Ich als Übersetzer weiß, wie schwer es ist, ein Werk in eine andere Sprache umzusetzen. Durch meine Vertreibung habe ich meine Muttersprache Deutsch verloren und musste sie noch einmal erlernen.

 

Für manche Künstler ist Österreich
jenes Land,
das Hans Sachs besingt,
doch für andere Künstler ist es eine Wüste.

 

Ich half zwar mit, österreichische Gedichte weltweit zu verbreiten,
aber das hat mir in Österreich nie geholfen.
Ich fand in der Wüste keine Oase.

 

 

Kulturbetrieb



In this setup, the people you should know 
are the people you wouldn’t want to know.



Ohne Kulturbetrieb bist du schutzlos.
Freiwild!



Der Kulturbetrieb, ich nenne ihn in Österreich den „Klub“, lehnte mich von Anfang an ab. Ich war in mehrfacher Weise für diese Klub-Mitgliedschaft nicht geeignet. Diese Abneigung war und ist eine gegenseitige.

 

Einladung



1975 wurde meine Einladung zu einem Literaturtreffen in Australien von Dr. Wolfgang Kraus, den Kulturberater des Österreichischen Außenamtes, abgefangen und storniert. Er berichtete: „Herr Kuhner ist ein überaus schwacher Autor, von dem man kaum annehmen kann, dass er Österreich in gutem Sinne vertreten wird.“ Nachdem ich darüber im Londoner Index on Censorship geschrieben hatte, wurde ich 27. Juli 1977 ins österreichische Außenamt zitiert. Diese Zusammenkunft entpuppte sich als ein Verhör, das etwas über zwei Stunden dauerte. Zwei namhafte Beamte, Dr. Woschnagg und Dr. Wilfling, versuchten, mich zu einer schriftlichen Selbstkritik zu bewegen. „Herr Kuhner, Sie haben den Ruf eines Ehrenmanns in österreichischen und ausländischen Zeitschriften befleckt. Wenn sie Manns genug sind werden sie sich bei Dr. Kraus entschuldigen.“

Die Erfüllung dieser Forderung hätte meine Glaubwürdigkeit zerstört. Ich konnte sie gar nicht erfüllen. Dann hörte ich, dass Gerüchte verbreitet worden waren, ich sei ein Spion, über den es einen Akt gäbe. Ich suchte, durch einen Rechtsanwalt Einsicht in den Akt zu nehmen, was mir der österreichische Staat unter Umständen hätte gewähren können. Die Damen und Herren Zuständigen haben es mir verweigert.

Gegen Kraus, der nicht aufhörte, mich als schwachen Autor und Narren zu beschreiben, brachte ich eine Klage ein, die von einem Gericht glatt zurückgewiesen wurde. Um eine Klage herauszufordern, schrieb ich einen offenen Brief an den „Hauptverhörer“ Dr. Woschnagg. Zehn Tage später erhielt ich einen anonymen Anruf. Die tiefe Stimme eines routinierten Anrufers versuchte Druck auf mich zu machen: „Herr Kuhner, wenn Sie Ihre Sache nicht einstellen, werden wir den Amtsarzt schicken!“

 

Mein Buch „Der Ausschluss“



Emile Capouya, der 1985 bei Schocken Books Austrian Poetry Today/Österrerichische Lyrik heute veröffentlicht hatte, schlug mir vor, einen Roman über meine irritierenden Erlebnisse in Wien zu schreiben. Ich folgte seinen Rat und schrieb: Der Ausschluß: Memoiren eines 39ers. Hier ein Auszug:

Einige der Charaktere in diesem Buch sind Schurken durch und durch. Sie mögen eindimensional erscheinen, aber so sind sie eben. Wenn diese Typen in den Spiegel schauen, sehen sie das Ebenbild eines Feiglings und Lumpen vor sich. Da ihre wahre Begabung im Intrigieren liegt, muss jeder, der fest an den Inhalt seines Werkes glaubt, abgebremst, relativiert und ausgebootet werden. Diese Leute sind sich schon sehr früh im Klaren, dass die üblen Formen der Diplomatie – Verlogenheit und Verschlagenheit – mit voller Kraft eingesetzt werden müssen. Dabei spielen sie ein doppeltes Spiel. Ihr Gespräch dreht sich immer um Demokratie. Sie sind Demokraten dem Namen nach, doch insgeheim sind sie Anhänger totalitärer Grundsätze in Gedanken und in Taten. Sie können heute nicht mehr offen innerhalb der Gesetze töten. Das haben auch ihre Vorgänger in der Vergangenheit tunlichst vermieden. Die Schurken haben Leute fürs Grobe, die die Schmutzarbeit für sie verrichten. Damals wie heute ist eine ihrer Waffen die Verleumdung, doch auch das wollen sie nicht selber tun. Am liebsten lassen sie verleumden.

 

Der Ausschluss meines Buches 



 

Ich konnte es kaum glauben, als das Wiener Journal einwilligte, mein Buch zu veröffentlichen. Aber gleich danach folgte die Bedingung, dass ich mein eigenes Impressum verwenden und mich um eine Subvention selbst bemühen müsste. Doch es kam anders: Das Wiener Journal erhielt eine staatliche Unterstützung für dieses Buch. Ich wiederum stellte eine Verbindung mit Ariadne Press in Kalifornien her. Aus dieser Kooperation entstand Janko Ferks Buried in the Sands of Time. Dann war das Buch fertig und der Name des Übersetzers – mein Name – war auf dem Umschlag gar nicht zu finden. Man hatte ihn weggelassen, was im englischen Sprachraum völlig unüblich ist und auch anders ausgemacht worden war. Warum hatte man das getan? Als ich mich darüber beim Wiener Journal beklagte, wurden Texte von mir für eine Nummer dieser Zeitschrift (Dezember 89/Jänner 90) gar nicht mehr abgedruckt. Ich hatte außerdem zwei weitere Autoren zum Edition Atelier gebracht für einen zweisprachigen Band. Nun wurden der Mitverleger und ich am Ende unserer Vorarbeiten einfach ausgeschlossen. Überhaupt nichts mehr galt. Nachdem mich darüber beschwert hatte, schlug mir der Chefredakteur des Wiener Journals schriftlich eine Aussprache vor.

Am 14. Februar 1990 rief ich Peter Bochskanl, den Chefredakteur, an und er sagte zur mir am Telefon: „Sie haben ein schlechtes Benehmen. Was Sie machen, ist ekelhaft. Sie, haben einen Verfolgungswahn.“ Ich fragte nach dem Zeitpunkt des Treffens und er gab er mir als Termin den 1. März. Das Gespräch war noch nicht zu Ende. Noch einmal redete er von meinem schlechten Benehmen, das war zu viel für meine Geduld. Er solle bitte selber einen Blick in den Spiegel werfen. Da sagte er „Termin abgesagt“ und legte auf.

Noch am selben Tag verlangte er durch eine Rechnung, dass ich die Subvention, die die Zeitschrift für mich bei einer staatlichen Stelle bewirkt hatte, an die Zeitschrift zurückzahlen sollte. Von der Subvention zog er mein Übersetzer-Honorar für das Ferk-Buch und einen Erlös aus dem Verkauf des Buches Der Ausschluss ab. Etwas mehr als ein Monat später schrieb Rainer Lendl von der Edition Atelier an die Verlagsauslieferung: „Wir streichen aus unserem Verlagsangebot den Titel: Kuhner, Der Ausschluss. Bitte veranlassen Sie, dass alle noch lagernden Exemplare an den Autor zugestellt werden.“

 

Der Autor „bewaffnet“



Eines Tages sagte Dr. Wolfgang Kraus vor Zeugen (Kurt Klinger, Adolf Opel), dass ich eine Waffe trüge, und er Angst hätte, bei einer seine Veranstaltungen von mir erschossen zu werden (*1). Aber ich besaß keine Pistole. Ich ziehe die Sprache als Waffe vor. Ich bin ein Gegner von Gewalt.

Michael Ley, der Soziologe, schrieb: „Nur einem ausgegrenzten Außenseiter fiel auf, was sich hinter der billigen Floskel „antifaschistische Kunst“ verbarg: Affirmation totalitärer Gewaltverhältnisse, nicht ihre Kritik (*2). Und Fritz Kleibel, der Filmemacher, mein Freund sagte: „Alle, die auf irgendeine Weise Geld in diese Kunst gesteckt haben, werden das weiterhin befürworten.“

Die Revisionisten schätzen die Barbarei der alten Zeit als gering ein und beschreiben sie sogar in rosaroten Farben. Ein Holocaust-Leugner prangert ausschließlich die Gewalt im anderen Lager an, die im eigenen leugnet er. Er äußert sich etwa kritisch über die Gewalt im Vorfeld und im Rahmen des Wiener Aktionismus. Das ist ganz schlimm. Dadurch wertet er den Wiener Aktionismus auf.

Quellen: 
(*1) Adolf Opel, Kurt Klinger
(*2) Michael Ley: „Die Würdigung blieb aus“, Illustrierte Neue Welt, April 1995, Wien, S. 21

Fortsetzung folgt
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Es ist alles so kompliziert © M.Luksan, Oktober 2019

Herbert Kuhner´s Geschichte ist die des jüdischen Autors und Übersetzers, der nach Wien zurückkehrte und vom Betrieb der Literatur mehr oder weniger „ausgeschlossen“ wurde. Warum und in welcher Weise ist interessant. Man sollte seine Geschichte auch dann ernst nehmen, wenn man erkennt, dass es auch die Lebensgeschichte eines Verkannten ist, der die Schuld für Misserfolg ausschließlich bei anderen Menschen sucht. Denn sie beschreibt deutlich das Funktionieren von Konformismus in einer Welt der Schein – Autonomen und über den „Betrieb“ hinaus die verspätete Aneignung der Kunstmoderne in Österreich.

Flucht der Familie 1939 aus der “Ostmark“, mit dem Kind Herbert Kuhner, das sämtliche Verwandte, die nicht emigrierten, durch den Holocaust verlor. Herbert wurde Amerikaner, besuchte ein Elite College bei New York und studierte dann Literatur an der Columbia Universität in NYC. Seine Mutter war vermögend. Er fasste sogar den Beruf des Dichters ins Auge, doch seine für Macmillan Publishers bestimmten Gedichte wurden durch Zufall, nicht durch Ablehnung, nicht publiziert. In dieser Zeit zwischen Studium und Remigration hatte er Österreich nicht nur durch den Holocaust, sondern auch durch „Das österreichische Wort“ vor Augen. Er war ein Schöngeist, von Anfang an, liebte die alte Penn Station in NYC und kaufte dort die Taschenbücher des Grazer Stiasny Verlags und las sie in einem Kaffeehaus und in einer Bibliothek im Obergeschoss des Bahnhofs für die Intercity-Züge (Die Pennsylvania Station wurde später abgetragen und neu errichtet). Seine wichtigste Idee war, den einen oder anderen Autor jenes österreichischen Verlags ins Englische zu übersetzen.

Er hatte die österreichische Gesellschaft falsch vor Augen. Er stellte sie sich so geradlinig und offenherzig vor wie einen Konflikt, den er bei Macmillan selber miterlebt hatte. Ein Autor war gegen seinen Lektor handgreiflich geworden, dieser hatte ihn aus seinem Büro hinausgezerrt und ihm ein Kleidungsstück nachgeworfen. Doch in Wien wird die Brutalität psychisch, nicht physisch gelitten. In der Tat gab es hier höchstens eine – theaterhafte – Ohrfeige von Käthe Dorsch für Hans Weigel, und auch das war eine rare Ausnahme gewesen. Sohn und Mutter Kuhner entschlossen sich, nach Wien zu gehen, wobei sie naturgemäß Restitution im Auge hatten, denn das Haus der Familie im 2. Bezirk war weggenommen worden. Aber auch die Chancen eines Übersetzers, der österreichische Autoren auswählt und im englischen Sprachraum bekannt macht, spielten bei der Übersiedlung eine Rolle. Es kam dann anders, die Restitution konnte nicht gemacht und der hohe Anspruch eines jungen Übersetzers nicht eingelöst werden. Aber Kuhner lernte die Vertreter des Wiener Kulturbetriebs eher schnell als langsam kennen. Vor allem Jeannie Ebner, die in allen Gremien saß, und Wolfgang Kraus, der die Literaturgesellschaft (ÖGL) gegründet hatte. Und auch mit Otto Mauer, der die neueste Avantgarde – Malerei durch religiöse Mystik deutete, wurde er bekannt.

Die 1960 er Jahre waren eine Zeit, in der die Avantgarde schon sehr rege war, aber keine Öffentlichkeit bekam. Die Zeitungen und der monopole Rundfunk ignorierten sie fast völlig. Das heißt, dass vom Wiener Aktionismus und von der Wiener Gruppe die österreichischen Medien auf vernünftige Weise nicht berichteten. Man konnte manchmal den einen oder anderen Namen lesen, ihn aber als Leser ohne Kenntnisse von Moderner Kunst nur mit dem Bild eines Dilettanten oder Sittenstrolches verbinden.

Nun hat der konservativ empfindende Herbert Kuhner die Wiener Avantgarde von Damals nicht auf Herz und Nieren geprüft. Er ging ihr aus dem Weg und belastete sie auch nicht durch den Gedanken, der falsch ist und den er später manisch vertrat, dass sie mitten in der Kunst den NS Geist der Zerstörung reaktiviert. Das kam später. Ende der 1960 er war Kuhner noch kein Kämpfer gegen Ungeist und verkappten NS, sondern nur ein ästhetisch Konservativer, der das Neue manchmal an sich heran ließ. Andernfalls wäre er nicht nach Berlin gereist, um die Vertreter des Wiener Aktionismus, die nach Berlin emigriert waren, zu besuchen. Seine dortigen Begegnungen waren so desaströs, dass er sie in einem polemischen und witzigen Text verewigte. In „DA – DA GA – GA KA – KA“, erschienen – mit zeitlicher Verspätung – in Reinhard Federmann´ s „Pestsäule“ (Nr. 1, Sept. 1972, S. 69 – 74)

Ab dem Moment, schreibt Kuhner, „war ich in Österreich kein Unbekannter mehr. Da ich die heiligen Kühe der österreichischen Kulturszene literarisch abgeschlachtet hatte, war ich als ´Reaktionär und Faschist´ entlarvt. Sie haben gerade Selbstmord begangen, erklärte mir der Kulturredakteur des katholischen, intellektuellen Wochenblattes“ (H.K., Der Ausschluss, Ed. 39, Wien 1988, S. 46) „Die Pestsäule“ hatte nur eine kleine Auflage, doch alle, die es anging, und einige, die auch das Neue versuchten, und alle, die es förderten, lasen den besagten Text. Sie notierten sich Kuhner auf einer schwarzen Liste, die es vor 1970 gar nicht gegeben hatte. Doch jetzt war ein „Wandel des Kulturklimas“ passiert und der ästhetische Neuanfang musste absolut gut gefunden werden, damit das Land Österreich nicht als Kulturprovinz erschien.

Der Text von Kuhner wurde also kritisiert und in jeder Kritik der Kritik wurde sein Name weggelassen. Während dem Außenseiter so die Öffentlichkeit genommen wurde, wurde sein Name im Fachbereich abwertend verbreitet. Kuhner erlebte die Distanzierung von seinen Projekten, sei es eine Anthologie, eine Übersetzung, eine Lesung, die stets unerwartet und begründungslos erfolgte. ZB. wurde einem Maler, bei dessen Vernissage er aus seinen Texten lesen sollte, der Ausschluss aus Galerien sowie das Ende der Berichterstattung in Kunstzeitschriften angedroht. Das könnte man heute rechtlich verfolgen, wenn die Drohung etwa durch einen Brief geschah, doch in den 1970 ern gab´ s nichts dagegen. Konformismus hat etwas Teuflisches an sich, weil er auf dem freien Willen mehrerer oder vieler Einzelner beruht, die sich konform verhalten und gleichzeitig den Druck leugnen.

1975/76 wollte Wolfgang Kraus die Teilnahme von Herbert Kuhner an einem australischen Poesie–Festival verhindern. Er war damals nicht nur Präsident der ÖGL, sondern auch Kultur – Koordinator im Außenamt. Durch ein „literarisches Gutachten“ kappte er die Entsendung Kuhners nach Adelaide. Das Wort „ungeeignet als Künstler, Österreich zu vertreten“ wog schwerer als die Nichtbezahlung der Reisespesen. „Die Regierung Ihres Heimatlandes“, schrieb die Festival–Leitung in Adelaide, „hat es abgelehnt, Sie nach A. zu senden. Sie scheinen bei denen recht unbeliebt zu sein.“ So fuhr der Außenseiter auf eigene Kosten. In Australien hatte er mehrere Lesungen und außerdem Kontakt zu der Zeitschrift“ Index“, in der er dann die Machenschaften von Kraus auflistete.

W. Kraus hat einem Autor geschadet, nur weil dieser die wilden Aktionisten kritisierte? Kaum zu glauben, aber so war es. Der konservative Wolfgang Kraus, der zB. die „Alte Schmiede“ als Konkurrentin der ÖGL missverstand, wollte der ihm fremden „roten Macht“ offenbar einen Dienst erweisen. Jemandem helfen, der Hilfe nicht braucht, in der Hoffnung, dass sich dieser positiv revanchieren wird, – ist die ekelhafte, aber effiziente Art des Karrieristen. Und dieser umtriebige Kulturfunktionär mit dem eingepflanzten Lächeln und den fabelhaft betitelten Sachbüchern, die ganz langweilig zu lesen sind, setzte seine eigene Rolle über alles andere (die Zeitgeschichte wird ihn vielleicht noch als Thema erkennen, so wie den Radiodirektor Rudolf Henz).

Die Kritik an Kraus in einer ausländischen Zeitung aktivierte ein ganzes Ministerium. Der Einzelne kritisierte hier den Fehler einer einzelnen Person und hatte auf einmal die ganze Institution gegen sich. Kuhner erhielt eine Einladung ins Außenamt, um dort die Sache, die so groß nicht war, durch ein Gespräch zu bereinigen. Das glückte nicht und in einer zweiten Sitzung, in der wieder Kraus fehlte, sollte Kuhner einfach ein Schuldgeständnis unterschreiben. Der Tapfere stand auf und ging und Tage später kam ein anonymer Anruf: „Herr Kuhner, wenn Sie Ihre Sache nicht einstellen, werden wir den Amtsarzt schicken.“

Kuhner wurde als „Psychopath“ verleumdet. Er, der bereits als „Provokateur“ und „schlechter Autor“ gehandelt wurde, musste jetzt Autoren und sonstige Mitarbeiter bei seinen Lyrik-Anthologien von der seelischen Geradlinigkeit seines Charakters überzeugen. Das ist wohl stets gelungen. Doch in einem Punkt hatte sich seine Weltsicht verengt. Er sammelte Material über die Kunstavantgarde und deutete sie einseitig und schwarz. Gerade damals traten die Vertreter der besagten Moderne in den internationalen Galeriebetrieb ein und wurden also auch in Österreich akzeptiert. Nicht von der Bevölkerung, von den Maßgeblichen. Von den Leuten, auf die es in einem Betrieb ankommt. Eben noch ignorierte und geächtete Künstler tauchten im Kunstverständnis der Großparteien auf (A. Rainer und H. Nitsch bei ÖVP, P. Weibel und O. Mühl bei SPÖ).

Heute sieht Kuhner die symbolische Gewalt in der Kunst nicht als Bruch im Werk oder als Austritt aus der Ästhetik, sondern als Zerstörung des Geistes schlechthin. Dabei klammert er sich an O. Mühl, der Tiere auf der Bühne schlachtete und die ärgsten Sprüche von sich gab, aber auch an V. Export, die einen Vogel mit heißem Wachs begoss. In der Regel waren die Aktionen der Schock – Künstler auf symbolische Gewalt beschränkt. Kuhner aber, der Zeugnisse für symbolische (und echte) Gewalt fanatisch sammelt, will im Aktionismus nicht Unfug und Schwindel festgestellt wissen, sondern Gewaltlust und Nazigeist. „Die Sache läuft blendend“, schreibt er, „Die Aktionisten agieren als Antifaschisten/ Und haben als Künstler internationale Anerkennung errungen/ Und du kommst her und versuchst, alles zu vermiesen. / Kein Wunder, dass sie den Kritiker ausschalten wollen.“ (H.K., In: Die Nachwirkungen vergangener Tage) Was tatsächlich geschah, war komplizierter als Kuhner denkt. Die Mühl und Nitsch bezeichneten ihre Kritiker als „Nazis“, als „Nazispießer“ und als „Ehemalige“. Das war für Kuhner, der die Nazis schockhaft erlebt hatte, die wahre Provokation. „Ich habe das Dritte Reich“, schreibt er, in sehr jungen Jahren erfahren/ Und bin jetzt dabei, Nachkriegsösterreich als Remigrant zu erleben. / Vielleicht kann ich dadurch manches schärfer erleben.“ (a.a.O.)

Im Nebel der Nazi – Metapher wird aber alles unklar. Vielleicht ausgenommen Otto Mühl, der eine Zeitlang Krüppel erschießen wollte, hatte das Schwatzen und Agieren der Aktionisten mit typischer Nazi – Gewalt nichts zu tun. Ihre Forderung nach Freiheit der Kunst war ein Ärgernis, aber das Schlachten von Tieren, das Verspritzen von Blut und Eingeweiden, der sexuelle Missbrauch und das Sich-Wälzen-im-Kot waren nicht typisch für Nazigewalt. Gewalt ist hier mit Orgie und Libertinage bildhaft verknüpft. Sie ist nicht verknüpft mit der Gaskammer und dem SS Mann, der sich vor dem Leichenberg übergibt. Leider hält Kuhner an der Nazi – Metapher fest und der eine oder andere Philosoph gibt ihm recht: „ich glaube tatsächlich, dass in der gesamten Kunstszene eine Nachfolge dieses Regimes (Hitler – Regime, Anm. M.L.) gegeben ist, denn sie ist die einzige erlaubte Diktatur in diesem Land.“ (H. Kohlenberger in dem Film „Das Meisterspiel“ von Lutz Dammböck). So wird auch die Freiheit der Kunst unzulässig strapaziert, sie soll echte Diktatur ermöglichen.

In seiner Klage gegen das Unrecht erkundigte sich Kuhner, „ob ich meinen Fall internationalisieren könnte. Man erklärte mir, dass dies nur möglich sei, wenn der Fall vorher vom Österreichischen VGH behandelt worden sei. Dr. Starr meinte, dass ein solches Verfahren Jahre dauern könnte (…) Während die Travestie des Außenamtes ihren Lauf nahm, schrumpfte die Zahl meiner Autoren-Freunde. Schließlich konnte ich sie an einem Finger abzählen.“ (H.K., Die Ausschließung, S. 88) Der offenbar letzte Freund diskutierte die Sache gut und gern. Er war in einer „Liga für Menschenrechte“ tätig und brachte dennoch den Fall Kraus/Kuhner in seinem Verein nicht zur Sprache. Er hielt ihn für ein Missverständnis. Für die Mischung aus Missverständnis und Gemeinheit bezahlte Kuhner mit viel Zeit, Geld und Leid.

Der sture und unbelehrbare Herbert Kuhner ist in eine Sackgasse geraten, aus der man nur durch Nachdenken herauskommt. Er hat zu viel Pech und Unrecht erlitten. Er hat die Kunstavantgarde in dem Moment kritisiert, als sie in Österreich – politisch – aufgewertet wurde. Ein leerer Karrierist, der nur seine Macht zeigen wollte, hat Kuhner aus der Bahn gedrängt. Und ein Milieu freiberuflicher Autoren, bei denen man echte Autonomie vermuten würde, hat ihn durch Konformismus zusätzlich isoliert. Nur da und dort, nicht in jedem Buch, stieß Kuhner zur Poesie durch. Sein Übersetzen konnte er nicht im großen Ausmaß betreiben. Er wäre der Richtige dafür gewesen, eine gute, unbekannte, europäische Lyrik im englischen Sprachraum zu verbreiten. Leider kam es anders.

  

© M.Luksan, Oktober 2019